Wie schon einmal angedeutet, spaltet die Frage, ob Fechten nun eine realistische Simulation eines Kampfes sein muss oder nicht die Gemüter. Die Gräben zwischen den Meinungen sind da überraschend tief.
Aus der sportlichen Ecke kommt heute nicht mehr der Satz „Fechten ist die Kunst zu treffen, ohne getroffen zu werden.“ sondern „Fechten ist die Kunst, zuerst zu treffen“. Eine kleine Gruppe von Traditionalisten hält dagegen, „In einem realen Kampf mit scharfen Waffen wäre das absoluter Selbstmord.“
Deswegen lautet die Frage, mit der sich dieser Artikel beschäftigt: Ist es wichtig, dass Fechten einen realen Kampf simuliert?
Was dagegen spricht:
Niemand wird heute mehr auf einem Schlachtfeld mit Schwertern kämpfen, da Sie obsolet sind. Und Ehrenduelle sind ebenso inzwischen komplett verschwunden. Dank Polizei und Gesetz muss auch definitiv niemand mehr mit einem Schwert sein Leben schützen wie im Mittelalter. Wofür soll man also etwas trainieren, das man nicht braucht? Sollte man nicht viel lieber die Techniken und Taktiken so anpassen, dass man möglichst viele Punkte im Turnier erheischen kann? Das wäre die einzige, praktische Anwendung, die es noch gibt. Ist gar das heutige Sportfechten in Wahrheit die positive Evolution des Fechtens wie Nadi in seinem Buch „On Fencing“ argumentiert?
Diese Argumentationslinie ist auf den ersten Blick ja durchaus schlüssig.
Es wird dabei aber gerne vergessen, dass die meisten Menschen, die Interesse an diesem Sport haben eben lernen wollen, wie man sich früher erfolgreich mit einem Schwert gewehrt hat. Und nicht, wie man eine 1/10 Sekunde schneller ist als der Gegner.
Persönliche Erfahrung zeigt: Wer mit 20 Leuten über Fechten spricht, dem winken 16 desinteressiert ab. Und von den übrigen 4 wollen 3 Schwertkampf lernen. Nur der letzte hat, wenn überhaupt, Interesse am olympischen Fechten.
Das hat nichts damit zu tun, dass diese Leute tatsächlich mit einem Schwert Gewalt ausüben wollen. Es geht nur um den viel unschuldigeren Wunsch, der sich durch Filme und Bücher manifestiert hat. Sie wollen einfach dasselbe beherrschen wie die großen Schwertkämpfer der Vergangenheit. Sagen zu können „Wenn mich einer mit einem Schwert angreifen würde, dann könnte ich mich und andere schützen.“
Manch einer mag das als mittelalterliche Sicht, gar als barbarisch verunglimpfen. Doch Mittelalter hin, Mittelalter her, man kann einem normalen Menschen zu recht nicht erklären, warum der Sport Fechten heißt, wenn er nichts mehr mit Fechten zu tun hat. Fechten ist halt einfach per Wortdefinition der Kampf mit der Waffe.
Man sieht es wunderbar in den Augen von potentiellen neuen Mitgliedern. Wenn man Ihnen olympische Duelle zeigt, wo minutenlang herumtaktiert wird für einen Treffer schauen Sie ganz gebannt zu. Wenn man fragt warum kommt zur Antwort, dass es so spannend war. Dass es sich wie ein echtes Duell auf Leben und Tod angefühlt hat.
Wenn man Ihnen die typischen Sturzkampfbomber zeigt, die immer gleichzeitig aufeinander zustürzen, und darauf hoffen eine 1/10 Sekunde schneller als der Gegner zu sein drehen sich die durchschnittlichen Menschen gelangweilt weg. Als Antwort für die Langeweile kommt dann klipp und klar: „Die wären doch jetzt längst beide tot.“
Da fällt es manchem Fechter schnell leicht, das als die unwichtige Meinung von Leuten abzutun, die eh nichts mit Fechten zu tun haben. Irrelevant. Doch das ist eine arrogante Ansicht. Es ist eher wie mit dem Märchen „Des Kaisers neue Kleider“, wo erst das Kind aussprach, was die anderen nicht erkennen wollten.
Fechten ist eben die Kunst des Fechtkampfes. Das steckt schon im Namen. Wenn man sich dann so weit von der Simulation eines realen Kampfes entfernt, dass man in einem solchen keine Überlebenschance mehr hätte, ist man dann noch ein Fechter oder trägt man nur noch diesen Namen?
Das Begünstigen von Turniertechniken gegenüber realistischen Techniken hat zu einer Entfremdung der Fechter und der Zielgruppe zukünftiger Fechtanfänger geführt. Kein Wunder, dass uns viele davonrennen in HEMA-Klubs. Die haben zwar Ihre eigenen Probleme, aber Ihre Hingabe zur realistischen Simulation eines Kampfes ist, was die Menschen anzieht.
Deswegen konnte diese Fecht-Gruppierung innerhalb weniger Jahre auch so stark wachsen.
Kein Wunder, dass modernes Fechten nur ein Randsport ist, der immer mehr um sein Überleben kämpfen muss. Die Zahlen der Fechter sind ja in ganz Europa rückläufig. Momentan gibt es noch etwas über 30.000 Fechter in Deutschland. Das ist für 80.000.000 Menschen schon sehr gering und nur knapp mehr, als es Ringer gibt in Deutschland.
Warum also nicht das Reglement anpassen und sich wieder mehr in Richtung der Simulation eines Kampfes bewegen? Früher war es ja auch so, dass die Obmänner nicht nur nach erzielten Treffern, sondern auch nach Technik und Verhalten bepunktet hatten. Wer da mit solchen „Selbstmörder-Techniken“ angekommen wäre, der hätte keinen Blumentopf gewonnen.
Manche Geister beschwören hierbei, dass dies dann zu gewalttätig wäre für den Zuschauer und dieser sich angewidert abwenden würde. Komischerweise hört man diesen Vorwurf nicht bei Actionfilmen, Football, MMA et cetera. Deren Publikum reibt sich nämlich nicht dran. Ein realistischeres Fechten würde eher endlich mehr Publikum anziehen. Eine Sache, die sich die FIE ja schließlich wünscht.
Auch die Verletzungsgefahr würde eher sinken, denn steigen, da die Opponenten nun vorsichtiger handeln müssten.
Natürlich kommt der Schrei, dass man sich damit schlechter macht in internationalen Fechtturnieren und dies dann zu geringerer, staatlicher Förderung führen würde. Das ist natürlich Quatsch. Der Fisch stinkt bekanntlich vom Kopf her. Wenn der FIE neue Regeln beschließt müssen sich alle dran halten auf den Turnieren. Ob die Regeln nun auf Kampfsimulation oder auf Sport ausgelegt sind ist für eine Förderung absolut schnuppe.
Schlussendlich machen wir Fechter uns doch lächerlich, wenn man die „altmodischen“ Fechter für Ihren Wunsch nach Kampfsimulation verunglimpft, aber die Lichtschwertfechter freudig aufnimmt, wie das gerade in Frankreich passiert.
Nein, im Endeffekt geht es den Sportfechtern bei diesen ganzen Argumenten eigentlich um etwas anderes, grundsätzlicheres. Wer 10, 20, 30 Jahre trainiert hat, um im Stil des Sportfechtens zu kämpfen und sich an die Grenzen des Machbaren im Reglement herangearbeitet hat, der möchte natürlich keine solchen Änderungen sehen. Denn dann würde ja das antrainierte „entwertet“ und man müsste lernen, anders zu fechten.
Aber wie es schon immer war, wer etwas einmal gelernt hat, der tut sich viel leichter etwas neues dazu zu lernen und vieles von der Basis des „Kampffechtens“ hat sich im Sportfechten ja noch erhalten. So schlimm wäre die Umstellung eben nicht. Und am Ende werden wieder diejenigen, die am lautesten gegen diese Änderungen protestiert haben das neue Reglement am schnellsten umgesetzt und sich angepasst haben.
Der Fechtverband müsste nur einfach einmal aufstehen und sich für diese Änderungen aussprechen. Zum Wohle der Vereine und um für das Überleben des Fechtsports an sich zu sorgen.