Wer ein paar Stunden in der Fußgängerzone einer (deutschen) Stadt verbracht hat kommt zu dem verständlichen Schluß, elegante Kleidung wurde von hinten erdolcht durch Jogginghosen, Hoodies und Sneakers. Man kann es dem Beobachter nicht verübeln.
Die Diskussion manch großer Firma, den Krawattenzwang aufzuheben mutet lächerlich an, wenn niemand ausserhalb einer Bank oder eines Anwaltsbüros noch einen Anzug trägt, wenn selbst Sakkos durch T-Shirt mit offenem Hemd darüber ersetzt wurden. Ist die elegante Kleidung also ein Ding der Vergangenheit?
Ja und nein.
Der Trend ist nicht neu, die letzten 150 Jahre waren davon geprägt, dass die jeweils eleganteste Kleidung durch eine bequemere Version ersetzt wurde. Der Frack wich als Abendgarderobe dem Smoking, der wiederum verlor seinen Platz an den Anzug und heute gilt es als Erfolg, wenn alle geladenen Gäste zumindest ein Knopfhemd und eine dunkle Jeans tragen. Noch härter hat es eigentlich nur den Cutaway (kurz Cut) erwischt. Er war die Tageskleidung des Mannes um 1900 und ist heute quasi komplett verschwunden. Man sieht ihn heute eigentlich nur noch auf Hochzeiten und bei piekfeinen Ereignissen im Herzen britischer Adelshäuser.
Werden zukünftige Generationen also auf uns zurückblicken und darüber schreiben, dass der Hoodie die formelle Abendkleidung unseres Jahrhunderts war? Eher weniger. Über die letzten 15 Jahre gab es eine Reihe von verrückten Revivals klassischer Mode. Die Weste war früher das dritte Teil eines Anzuges und wurde dankbar von der Gesellschaft fallen gelassen, als die Arbeitsräume nach und nach mit Zentralheizungen ausgestattet wurden. Und plötzlich, irgendwann um 2008 herum, entdeckte die Jugend dieses vergessene Teil des Anzugs für sich und in jeder Disko konnte man junge Männer mit der Kombination aus Hemd und Weste rumlaufen sehen. Manch ein Jugendlicher probierte plötzlich mit verschiedenfarbigen Hosenträgern herum für den Extra-Style. Plötzlich kann man wieder Chinos tragen, ja überhaupt irgendeine andere Form von Hose außer Blue Jeans ohne sofort uncool zu sein.
Die Schiebermütze, ob einfarbig, Karo- oder Hahnentrittmuster hat sich einen Platz zurückerobert neben der allmächtigen Baseballmütze. Hüte, ehemals Symbol für „alt“ werden zaghaft Teil von Modeexperimenten. Panamahüte werden wieder getragen. In den letzten 2 Monaten traf der Autor 2 junge Männer(der eine mit langem Bart, offenes Hemd und zerrissene Jeans, der Andere gekleidet mit Hemd und Jackett in verschiedenen Schattierungen von Schwarz) welche mit klassischer Melone auf dem Kopf herum spazierten. Nicht in der Großstadt, wohlgemerkt, sondern in einer Kleinstadt. Sogar die Fliege, DAS Symbol für Spießigkeit in den 90ern kommt immer mehr zurück.
Der Jugendliche (zumindest ein Teil davon) will wieder eleganter aussehen. (Interessanterweise gilt das in erster Linie für Männer. Frauen hinken dem Trend da stark hinterher und laufen oft noch in der Kombi „zwei Nummern zu kleine Jogahose + ironisches T-Shirt, bauchnabelfrei“ herum. Sexy, aber eben auch so elegant und gehoben wie ein Schlampenstempel.)
Der Grund dafür ist der: Es ist einfach verdammt schwierig, mit Hoody, Sneakers und ironischem T-Shirt gut auszusehen, oder sich von der Masse abzuheben. Was in den 60ern der graue Flanellanzug war ist heute T-Shirt mit Jeans. Jeder trägt es. Also sucht Man(n) nach anderen Wegen. Warum also nicht aus der Vergangenheit klauen, was damals gut funktioniert hat? Klingt nach einem guten Plan.
Doch warum entdeckt die Jugend ausgerechnet die ganzen vergessenen Accessoires für sich? Warum ausgerechnet so tote Kleidungsstücke wie die Fliege, anstatt Krawatten? Eben da Sie tot und vergessen sind! Die Krawatte wird noch getragen, ist noch präsent in den Köpfen der Menschen als ein Symbol für gierige Manager, gewissenlose Banker und charakterlose Politiker. Fliegen, Westen etc. hingegen sind unbefleckte Leinwände, an denen man sich austoben kann, da Ihre kulturellen Bedeutungen und Implikationen in der breiten Masse inzwischen vergessen wurden. Man damit spielen, es formen, dem ganzen seinen eigenen, persönlichen Stempel aufdrücken.
Überhaupt will man als Jugendlicher ja gerne Teil einer Gegenkultur sein, um sich etwas von den alten Säcken abzugrenzen. Diese seltsamen Wesen über 30. Und was ist da besser, als elegante Kleidung? Galt in den 90ern noch „alt = grauhaariger, eingefallener Mann in schlecht sitzendem Anzug“ der mit Rollator über den Gehsteig stottert ist heute die Formel eher: „alt = grauhaariger, fetter Sack in schlecht sitzendem T-Shirt“.
Eigentlich nachvollziehbar. Die „alten Alten“ im Anzug sind inzwischen fast alle gestorben und die „neuen Alten“ hatten als Söhne der 68er Ihr Lebtag noch nie freiwillig einen Anzug getragen. Warum sollten Sie also mit 50+ bis 60+ Jahren plötzlich damit anfangen?
Überhaupt, der Anzug. Selbst er erlebt ein Revival. Vor 10 Jahren hatte man es die Modebranche noch versucht, Sakko und Anzug wieder beliebt zu machen mit seltsamen Drucken, irren Schnitten und generell allem, was im jeweiligen Jahr cool und im Jahr darauf für die Tonne war. Hat natürlich nicht funktioniert. Wer kauft sich schon ein Jackett für 150 EUR, welches nur 1 Jahr lang tragbar ist? Inzwischen sind neue, junge Modehändler auf dem Markt mit einem einfachen Rezept. Klassischer Stil, eng geschnitten für jugendlich trainierte Körper, und das alles verkauft über Onlinehandel.
Der Erfolg gibt Ihnen Recht. Ab und zu kommen dann noch Experimente dazu wie ein Anzug mit Zugbündchen in der Hose. Dem Traditionalisten graut es bei dem Anblick, aber den Jugendlichen freut es, da die im Schritt baumelnden Schnürsenkel klar sagen, dass der Anzug neu und modern ist. Man trägt also nichts altes, sondern etwas cooles, hippes, man kennt den Zeitgeist.
Vor allem, man hebt sich ab vom Rest, ist anders. Es ist ein öffentliches Zeichen, dass man nicht zu dem alten Mainstream gehört, sondern andere Ideen, Visionen, Ziele hat als „die Masse“. Dass man der Vorkämpfer von etwas neuem ist, ein Revoluzzer. Heute gilt, wer jung und subversiv sein möchte trägt Anzug.
Natürlich, das Ganze ist noch nicht in der breiten Masse angekommen, aber so war das schon immer mit Trends. Was heute Subkultur ist kann morgen schon Mainstream sein. Oder vergessen wie Zootsuit und Schlaghosen.
Steuern wir also auf eine Zeit zu, in der alle wieder Anzug tragen, Frack und Smoking den Abend beherrschen? Wahrscheinlich nicht. Noch nie ist eine Mode genauso zurückgekehrt, wie Sie in der Vergangenheit getragen wurde. Wird es wieder mehr Platz für elegantere Mode in unserer Gesellschaft geben? Definitiv. Nach Jahrzehnten des Credos „Cool ist, wer gut aussieht, obwohl er so aussieht, als ob er sich keine Mühe gibt gut auszusehen“ schwingt das Pendel wieder zu „Cool ist, wer gut aussieht“. Die nächsten Jahre werden definitiv eine Rückkehr zu mehr Eleganz und Form darstellen. Auch wenn manches anders aussehen wird, als es früher einmal war.
Wer weiß, vielleicht entdeckt die Jugend als nächstes als Krawattenersatz ja den um den Kragen gebundenen Seidenschal wieder für sich wie anno 1820 getragen. Potential, älteren Generation damit einen Herzinfarkt zu verpassen hätten Sie damit genug und momentan laufen die ersten experimentierfreudigen Männer bereits mit seiner späteren Form, dem Ascot, auf der Straße herum.