Schon im letzten Artikel ging es um Sinn und Unsinn der Handschrift im 21. Jahrhundert. Die Frage, warum die Handschrift nicht nur wichtig ist, sondern auch noch schön sein soll geriet dabei jedoch etwas zu kurz.
Es beginnt schon einmal damit, dass es für jeden leserlich ist. Was zuerst lächerlich offensichtlich klingt wird stark unterschätzt. In der Arbeit passieren oft Fehler aufgrund einer unleserlichen Notiz, auch in Zeiten der rapiden Digitalisierung. Aber das ist nur die Oberfläche des Problems. Schlimm wird es, wenn man an die Zukunft denkt. Denn auch wenn wir es gerne verdrängen, wir werden genau so wie unsere Vorfahren alle irgendwann einmal sterben. Was wir dann schriftlich hinterlassen haben ist meist alles, was von uns noch übrig bleibt, nachdem der letzte gestorben ist, der uns noch kannte. Alles andere gerät in Vergessenheit. Was hat das mit Schönschrift zu tun? Nun, wer sich etwas aufschreibt hat meistens einen Grund dazu. Tagebücher, Niederschriften etc. sind wertvolle Schätze für die, die nach uns kommen, um uns zu verstehen. Unser Leiden, unsere Freuden, unser Wissen, alles was geschrieben ist kann die Jahrhunderte überdauern. Aber eben leider nur, wenn man es auch lesen kann. Der detaillierteste Stammbaum, den man in jahrelanger Arbeit zusammengeschrieben hat ist nichts wert, wenn man nichts davon entziffern kann.
Wenn der Graphologe den Enkeln erklärt, er wisse nicht, ob das Tagebuch des Großvaters in deutsch, kyrillisch, chinesisch oder altägyptisch geschrieben ist, ist es jedenfalls zu spät.
Mancher verweist dann gerne auf den PC als Lösungsmittel. Aber hier sei nur gesagt, dass alles, was nicht ausgedruckt ist sehr schnell komplett verloren ist, wenn sich wieder ein Speicherformat ändert.
Damit haben gerade wissenschaftliche Institutionen zu kämpfen, deren Forschungsergebnisse teilweise auf veralteten Medien wie 5 ¼“ Floppydisks gespeichert ist, in einem Dateiformat, welches seit 20 Jahren kein moderner PC mehr beherrscht. So sind teilweise schon Daten unwiederbringlich verschwunden, die keine 40 Jahre alt waren.
Man fühlt sich auch selbst besser, wenn man eine schöne Handschrift hat. Es gibt einem eine gewisse Befriedigung und ein Gefühl von Sicherheit. Sicherheit in dem Sinne, dass man jederzeit gezwungen sein kann im Leben, für andere etwas aufzuschreiben und sich ansonsten mit seiner schlechten Schrift blamiert hatte. Obwohl heute kaum noch einer eine schöne Schrift hat können es sich die meisten doch nicht verkneifen, einen schnellen Spruch über die „Sauklaue“ in die Welt zu posaunen.
Befriedigung, da man, je gefälliger das Schriftbild ausfällt, immer wieder seine eigenen, kunstvoll geschwungenen Linien zufrieden begutachtet. Sonst können das nur Frauen mit großem Spiegel. Wer eine schöne Handschrift pflegt, der erhebt das schnöde Schreiben zu einem Kunsthandwerk.
Vielleicht war es deswegen auch ein Fehler der Politik, in den letzten 50 Jahren andauernd die Schreibschrift zu vereinfachen, zu entschnörkeln. Denn die vereinfachte Schrift von heute kann man zwar schneller lernen, aber egal wie sehr man sich auch Mühe gibt, schön wird Sie nie aussehen.
So bleibt natürlich auch kaum Elan, sich anzustrengen. Man wird ja nie Freude an seinem Schriftbild bekommen. Wohl ein Grund, warum immer mehr Menschen Copperplate, Sütterlin, Spencerian und Co. lernen.
Die Auswirkungen auf Fremde ist, wie angedeutet, profund. Wie man schreibt gilt als Spiegel zur Seele der Person. Nicht umsonst war es früher üblich, seine Bewerbungen in gute Berufe handschriftlich zu verfassen. Man wollte so einen Blick in das Innere des Bewerbers gewinnen. Und in gewisser Weise ist auch etwas dran an der Theorie, ein guter Mensch habe eine gute Schrift. Um sich eine schöne Handschrift anzutrainieren braucht man neben Stift und Papier eben auch Ausdauer und Willenskraft. Schließlich ist es viel angenehmer, den Fernseher einzuschalten und die Schrift Schrift sein zu lassen. Überhaupt. Warum sollte ein Mensch von schlechtem Charakter sich um seine Schrift scheren?
Dann gilt der Mann mit geschliffener Schrift auch als kompetent. Man kann einfach nicht umhin, jemandem ein gewisses Können zuzuschreiben, wenn sein Schriftbild wohlgestaltet ist. Schließlich ist auch dies eine Form von Können. Und wer sich eine Fähigkeit erarbeitet hat, von dem erwartet man ganz unbewusst, dass er dieselbe Entschlossenheit und Willenskraft auch in anderen Bereichen seines Lebens ausübt.
Andererseits hilft Schönschrift auch, die tatsächlich vorhandene Kompetenz besser zeigen zu können. In einer Studie wurde festgestellt, dass bei Prüfungen (die ja noch immer größtenteils per Hand geschrieben werden) diejenigen mit einer schönen Schrift immer um eine Notenstufe besser abschnitten als diejenigen, welche dieselbe Leistung brachten mit einer schlechten bis unleserlichen Schrift. Einfach, da der Korrektor sich bei den schlechten Schriften so stark auf die Entzifferung der Sauklaue konzentrieren musste anstatt auf den Inhalt. So gingen z. B. Schülern oft viele Punkte verloren, da der Lehrer etwas einfach nicht richtig lesen kann. Mit anderen Worten: Würden die jungen Männer in der Schule schöner schreiben wären die meisten von Ihnen eine Notenstufe besser! Ganz ohne mehr zu Lernen oder aufwendiger Lehrplanumstellungen. Nur sagt das den Jugendlichen leider heute keiner mehr.
Wo wir bei dem Thema Kinder angekommen sind. Kinder lernen nur selten, was man Ihnen sagt, aber vieles, was man tut. Da können die Eltern noch so viel auf die schlechte Schrift des Sohnematz schimpfen, wenn er sieht, dass Papa noch viel schlimmer schreibt verhallt jeder Tadel ungehört. Warum soll man auch so blöd sein, etwas zu tun, was Mama und Papa selber nicht machen?
Wie mit allem muss man es dem Kind vorleben, wenn es verfangen soll.
Zu guter letzt kommt noch die Freude, die man anderen bereiten kann. Gerade durch die digitale Revolution mit Instant Messengers a la Whatsapp, Facebook und Email ist niemand mehr gezwungen, einen Stift in die Hand zu nehmen für einen Gruß oder einen schnellen Dank. Wer dann eine handgeschriebene Dankeskarte, Postkarte oder einen liebenswerten Brief im Postkasten findet freut sich dann erst recht. Schließlich ginge es auch einfacher. Eine handgeschriebene Karte sagt: „Du bist mir wichtig.“. Umso mehr, wenn die Schrift auch noch schön ist.
Ebenso gilt das für Widmungen. Egal zu welchem Geschenk, es macht den Unterschied zwischen ganz nett und unvergesslich. Und was kann einem mehr Freude machen, als die Freude in den Gesichtern anderer zu sehen, wenn man Sie mit etwas selbst geschaffenen beglückt?